Die Geschichte vom solardorf

Auf der Schattenseite des Pfaffenberg gelegen, hat sich der Rottenburger Stadtteil Oberndorf (Lkr. Tübingen) in den letzten Jahren durch vielseitige Aktivitäten zum solardorf entwickelt. Das Dorf mit derzeit 1380 EinwohnerInnen gehört zur Spitzengruppe der Solarbundesliga. Exemplarisch werden in diesem Artikel einige Anlagen und weiterführenden Aktivitäten und Ziele vorgestellt:

Neben der Warmwasserbereitung wird die Kraft der Sonne in zwei Drittel der Oberndorfer Solar-Haushalte auch zur Heizungsunterstützung eingesetzt. In diesen Fällen machen sich eine gute Südausrichtung und ein steil montierter Kollektor stark bemerkbar. Ideale Partner sind dabei Sonne und Holz, da beide den gemeinsamen Speicher nutzen können und damit eine CO2-neutrale Heizung in vielerlei Varianten (Stückholz, Pellets, Hackschnitzel) möglich ist. Natürlich lässt sich ein derartiges System auch mit Öl, Gas oder Strom kombinieren. Irmgard Hartmann hat sich mit ihrem Haus in Rottenburg-Oberndorf einen Traum verwirklicht: Ein Niedrigenergiehaus in Holzständerbauweise mit einem maßgeschneiderten Fassadenkollektor (21,75 qm), einem Jenni-Kombispeicher (1280/115 l), einem Pelletkessel (14,9 kW) und einem in Lehmwänden integrierten Wandheizungs-System.

Haus mit einem Fassadenkollektor

Die Solarwärme wird in einem Kombispeicher mit innenliegendem Edelstahlboiler eingeschichtet. Sehr effizient und ohne großen technischen Aufwand lässt sich so die Wärme sowohl für die Warmwasserbereitung als auch für die Heizungsunterstützung einsetzen. Der Restbedarf wird vollautomatisch von einem Pelletkessel gedeckt. In den Wohnräumen sucht man vergeblich nach Heizkörpern. Hier scheint die Sonne aus den Wänden. Dünne Kupferrohre zu Serpentinen gebogen, die „Sonnenwände“ liefern nach dem Kachelofenprinzip, allerdings regelbar, angenehme Strahlungswärme. Um den Wirkungsgrad der gesamten Anlage zu optimieren, ist die Wandheizung für möglichst niedrige Vorlauftemperaturen großzügig ausgelegt und das Haus sehr gut gedämmt.

In den nächsten Jahren muss eine große Zahl an Heizkesseln ausgetauscht werden. Effizientere Öl- oder Gaskessel einzubauen heißt, „mit reduzierter Geschwindigkeit in die falsche Richtung weiter rennen“. Mit dem hier vorgestellten Modell lässt sich ein guter Teil der Energie durch die direkte Nutzung der Sonne und der Rest CO2-neutral durch gespeicherte Sonnenenergie in Form von Holzpellets decken. Bei der Biomasse – gespeicherten Sonnenenergie – wird derzeit nur ein kleiner Teil des Potentials ausgeschöpft. Stückholz lässt sich in modernen Holzvergaserkesseln mit weit mehr Komfort nutzen als landläufig bekannt. Auch durch Küchenheizungsherde, Kachelöfen mit einem Wärmetauscher oder Naturzugholzvergaseröfen ist der Restenergiebedarf für ein gut gedämmtes Haus leicht zu decken. Pelletöfen mit Wärmetauscher sorgen vollautomatisch für Raumwärme und Warmwasser als Ergänzung zu einer Solaranlage. Restholz aus unseren Wäldern in Form von Hackschnitzel können in vollautomatischen Hackschnitzelkesseln als Energiequelle für kleine Nahwärmenetze mit mehreren Häusern dienen. Alles nach dem Motto: „Heizen mit „Sonne & Holz“.

Um auch im Bereich des Solarstroms, der Photovoltaik, ein Zeichen zu setzen, stellten Maria und Thomas Hartmann im Februar 2000 beim Ortschaftsrat einen Antrag für die Errichtung einer Solarstrom-Gemeinschaftsanlage auf dem Dach der Grundschule. Angeregt wurden sie durch die Pläne der Bundesregierung, die Einspeisevergütung für Solarstrom zu erhöhen. Nachdem sowohl vom Ortschaftsrat grünes Licht als auch von der KfW eine Zusage für die Finanzierung über das „Hunderttausend-Dächerprogramm“ kam, fanden sie 12 weitere Solarbegeisterte, die bereit waren sich an diesem Projekt zu beteiligen. Auch dieses Projekt wurde durch das Erneuerbare Energiegesetz, das inzwischen in Kraft getreten war, beschleunigt. Für eine solche Anlage ist das Dach der Grundschule ideal geeignet. Zum einen sind die technischen Voraussetzungen (Ausrichtung und Neigung) optimal, zum anderen bietet sich damit (nicht nur) den Schulkindern Gelegenheit, sich vor Ort in einem öffentlichen Gebäude mit dieser Technologie auseinanderzusetzen. Außerdem lässt sich eine große Gemeinschaftsanlage preiswerter erstellen als mehrere Einzelanlagen.

Grundschule von Oberndorf mit einem PV-Dach

Bei einem derartigen Projekt waren eine Reihe von technischen und rechtlichen Fragen zu klären. So fiel im Rahmen eines Ortstermins die Entscheidung, vor der Montage der Module das Süddach der 40 Jahre alten Schule zu erneuern. Auch hier konnte wie beim Dachnutzungsvertrag mit der Stadt eine für alle Beteiligten gute Lösung gefunden werden. Anfang März 2001 wurde diese Solarstromanlage mit 24,15 kWp (kW Spitzenleistung) im Rahmen des „Tag der erneuerbaren Energie“ von Winne Hermann (MdB) – als einem der Väter des Erneuerbaren Energiegesetzes – und vom damaligen Oberbürgermeister Klaus Tappeser – als Vertreter der Stadt Rottenburg – feierlich eingeweiht. Über der Solarstromanlage wurde mit einer so genannten Firstverlängerung auf 60° aufgestellt ein Kollektor mit 44 m² montiert. Diese läuft als Contracting-Anlage mit einem vor Ort kellergeschweißten 3.420/ 354 l Jenni-Kombispeicher. Der Stadt wird die Solarwärme zum Preis der Ölwärme überlassen. Damit wird Warmwasser für die Schule und die Mehrzweckhalle erzeugt sowie die Heizung unterstützt.

Schuppen mit PV-Anlagen auf den Dächern

Auch Familie Schabert hat sich von den verbesserten Einspeisevergütungen des Erneuerbaren Energiegesetzes zu einer nicht unbedeutenden Investition anregen lassen. Zum Bau von insgesamt knapp 55 kWp Solarstrom konnte sie drei Dächer im „berühmt berüchtigten“ Schuppengebiet und eines auf der Scheune vom Hof Ludwig Hartmann mieten. Denn „Solarenergie macht Schule“.

Schild mit der Aufschrift: Vom Landwirt zum Energiewirt

Eine weitere Möglichkeit, gespeicherte Sonnenenergie zu nutzen, bildet die Vergärung von organischer Masse, die durch die Kraft der Sonne gewachsen ist. Die Idee, eine Biogasanlage auf dem Hof von Ludwig Hartmann zu errichten, stand schon in den 80er Jahren im Raum. Zu dieser Zeit konnte das regionale Energieversorgungsunternehmen dank niedrigster Einspeisevergütung noch leicht mit dem Argument kontern: „Das lohnt sich nicht!“ Mit dem Stromeinspeisegesetz Mitte der 90er Jahre wurde die Idee mit neuem Leben erfüllt und in die Tat umgesetzt. Auf das Angebot, den über ein Blockheizkraftwerk gewonnenen Strom als Spitzenstrom abzunehmen, kam vom Energieversorger die lapidare Antwort: „An derartigem Spitzenstrom sind wir nicht interessiert!“ Neben Pflanzenöl ist Biogas einer der wenigen speicherbaren und kurzfristig über Blockheizkraftwerke in Strom umsetzbaren erneuerbaren Energieträger.

Biogasanlage in Oberndorf

Außer der hofeigenen Gülle wird inzwischen, um den Gasertrag zu steigern, auch Silage an die Methan-Bakterien „verfüttert“. Durch diese Anlage wird deutlich mehr Strom erzeugt, als auf dem Hof verbraucht wird, außerdem riecht die Gülle beim Ausbringen nicht mehr so streng. Zusätzlich sind auf zwei Dächern Solarstromanlagen mit jeweils 16 kW Spitzenleistung installiert, deren Strom ins Netz eingespeist wird. Wie viele andere Betriebe erzeugt der Betrieb Energie auch in Form von Raps, der in einer nahe gelegenen Ölmühle gepresst wird. Um Erfahrungen mit Pflanzenöl zu sammeln, wird damit ein erstes umgerüstetetes Fahrzeug in Oberndorf betrieben. Weitere Schritte werden folgen auf dem Weg vom „Landwirt zum Energiewirt“.

Oberndorf orientiert sich an der Sonne

Nach der positiven Resonanz beim Tag der erneuerbaren Energie findet für Interessierte seit April 2001 jeden dritten Samstag im Monat jeweils ab 9.00 Uhr am Sportheim ein so genannter „Oberndorfer Solarspaziergang“ mit der Vermittlung von Grundlagen und einer Führung durchs Solar-Dorf statt. Außerdem besteht dabei Gelegenheit, Probefahrten mit dem TWIKE-Solarmobil zu machen.

Sowohl Anlagen zur Warmwasserbereitung, Heizungsunterstützung oder zur Solarstromgewinnung stehen auf dem Programm. Daneben eine Vielzahl an Montagearten von Flach-, Vakuum-Röhrenkollektoren, auf- oder indach, an der Wand oder der Fassade montiert. Eine vollautomatischen Pelletheizung und eine Stückholzanlage runden das Programm zum Thema „Heizen mit Sonne & Holz“ ab. Der Solarspaziergang wird inzwischen auch für Schulklassen und andere interessierte Gruppen angeboten.

Seit Herbst 2006 bildet das sonnenzentrum einen idealen Schlusspunkt für den Solarspaziergang. Neben den Führungen bieten Planungsseminare, eine Ausstellung und Vortragsreihe sowie der Blick in die Haustechnik via Internet die Möglichkeit Solartechnik auf vielfältige Weise zu erleben. In der hauseigenen sonne – die feurige gastronomie können dann die eigenen „leeren Speicher“ mit erneuerbarer Energie aus der Region wieder gefüllt werden.

Um die Praxis durch die Theorie noch abzurunden, soll dieses Angebot durch einen „Erlebnispfad Erneuerbare Energie“ ergänzt werden. Dies kann sich neben dem kulturellen Angebot zu einem Baustein für einen „sanften Tourismus“ in Oberndorf entwickeln. Ganz nach dem Motto: „Oberndorf – wir orientieren uns an der Sonne.“

Ministerbesuch in Oberndorf

Ziel

Der Begriff „Solardorf“ ist Ehre und Ansporn zugleich: Er bedeutet mehr als mit Kollektoren Wärme und mit PV-Modulen Strom zu gewinnen. Langfristiges Ziel kann nur eine 100%ige Versorgung aus einem Energie-Mix mit erneuerbarer Energie, CO2-neutral oder noch besser CO2-frei. Alle diese Energieformen, auch Windenergie, Wasserkraft, Biomasse u.a. lassen sich direkt oder indirekt auf die Sonne zurückführen und zählen zu den Solarenergien. Dieses Ziel kann nur durch einen geringeren Energieverbrauch z.B. in Kombination mit einer verbesserten Wärmedämmung, Niedertemperatur-Heizsystemen, sparsameren Fahrzeugen, usw. erreicht werden, was ohne Komfortverlust in allen Bereichen möglich ist.

Heumesser Schestag

Die Frage: „Wie wird ein Dorf, eine Stadt zum Solar-Dorf bzw. zur Solar-Stadt?“ lässt sich nicht einfach beantworten. Wichtiger als Zuschüsse sind Offenheit für Neues und das Bewusstsein, das Machbare und Sinnvolle zu tun. „Sowieso-Maßnahmen“ wie Arbeiten an der Fassade oder am Dach lassen sich gut zum Anbringen einer Dämmung nutzen. Die Erneuerung von Heizkesseln oder Speicher laden zum Einbau einer thermischen Solaranlage und einer Biomasseheizung ein. So bleibt dem Autor zum Abschluss nur der Wunsch, dass dank der Anstöße aus dem Solardorf Oberndorf eine Solarstadt Rottenburg, ein Solarlandkreis Tübingen wird…
…der Weg ist das Ziel.

Unterschrift von Thomas Hartmann
Thomas Hartmann